Erinnert ihr euch noch an meinen Ratchet&Clank-Test? Dort testete ich das Remake eines Spiels, zu einem Film. Hier ist es nun eine Fortsetzung, die gleichzeitig ein Reboot ist. Die Geschichte ist eine komplett neue, dennoch tauchen Figuren aus dem ersten Teil auf, wenn auch bis auf Ausnahmen nur am Rande. Generell handelt es sich bei Mirror's Edge Catalyst um eine Zession, die den Weg in die Zukunft führen soll. Ist das schlecht? In meinen Augen nicht, denn die Geschichte des Vorgängers war alles andere als eine Sternstunde der Erzählkunst. Nun aber der Reihe nach.
Story
Faith Connors wird aus dem Gefängnis entlassen. Dort hat sie die letzten zwei Jahre verbracht. Ihre Heimat ist die Stadt Glass, die von einem diktatorischen Conglomerat geleitet wird. An der Spitze sitzt Gabriel Kruger, der finstere Pläne für die armen Einwohner hat und dem die Runner genannten Boten ein Dorne im Auge sind, die über die Dächer wetzen und Nachrichten außerhalb der Kontrolle des Sicherheitsapparats überbringen.
Die Geschichte ist eine komplett neue. Mit Teil 1 hat sie nichts mehr zu tun. Es gibt keine Polizei mehr, stattdessen regieren Konzerne über ein eigenes Land. Zwei andere Länder werden auch erwähnt, jedoch nur am Rande. Besuchen kann man sie nicht. Hauptplatz bleibt die Stadt Glass, die in hellem Weiß erstrahlt, nur ab und an durchbrochen von Farbklecksern. So schön die Stadt auch ist, recht schnell bekommt man mit, dass hier einiges im Argen liegt. Sicherheitsleute drangsalieren unbescholtene Bürger, es gibt ein Kastensystem, von dem überwiegend die oberen zehntausend profitieren und sogar der freie Wille steht irgendwann in der Schussbahn.
Neben diesem Überbau überzeugen die eingeführten Figuren, auch wenn diese Archetypen entsprechen. Wir haben den fürsorglichen Ziehvater, die rabiate Rebellenführerin, den Sonderling, die Hackerin mit Sozialschwierigkeiten und den Rivalen. Man könnte das dem Spiel nun vorwerfen, aber die Charaktere kommen sympathisch rüber und es gibt schlicht nicht die passende Unterfütterung, um weiter in die Tiefe zu gehen. Mehr wäre rasch zu schwätzerisch geworden. Im Spiel findet man mit der Zeit aber versteckte Audiofiles, die einen tieferen Einblick auf den ein oder anderen Charakter erlauben.
Grafik
Mirror's Edge Catalyst ist eines der Spiele, deren Optik man liebt oder hasst. Durch die hellen Farben wirkt die Welt überzogen künstlich, jedoch ist dieser Effekt nötig für das Navigationssystem, welches durch rote Einfärbung den Weg weist. Ab und an gibt es auch schmutzigere Orte zu sehen, zum Beispiel unter der Erde, aber die hauptsächlichen Abschnitte erlebt man in Blütenweiß mit Farbklecksen, die einen Jackson Pollock stolz machen würden.
Beim Design der Figuren geht es futuristisch zu, was durchaus zum Setting der prachtvoll erstrahlenden Stadt passt. Die Kleider sind hypermodern und unterstreichen die reine Dystopie optisch. Auch das Mienenspiel überzeugt, allerdings nur in den Zwischensequenzen. Die Auftraggeber in der Spielwelt selbst, sehen manchmal aus wie Teile der Statik, auch weil sie brav an Ort und Stelle verharren und auf Faith warten.
Generell ist das ein Problem in Glass, denn die Stadt wirkt nie sonderlich lebendig. Dadurch fühlt man sich wie in einem Runner-Parcour, nicht wie in einer atmenden Metropole. Wenn man läuft vergisst man das aber schnell und es wäre wohl auch nervig gewesen, wenn der Flow von Menschenmassen gebremst würde. Für eine mögliche Fortsetzung würde ich mir aber mehr Homogenität wünschen; eine stärkere Verwebung von Gameplay und einer glaubhafteren Spielwelt. Beschweren kann man sich dagegen nicht über Faith eigene Animationen. Die sind butterweich, gleichen dem Vorgänger aber aufs Haar. Sie hat ein paar neue Moves (später mehr dazu), aber generell spielt sich alles wie gewohnt und sieht dabei auch ähnlich gut aus. Das Gefühl der Körperlichkeit ist größer als in anderen First-Person-Spielen.
Gameplay
Eine simplere Steuerung hätten die Entwickler kaum zustande bringen können. Negativ gemeint ist das aber nicht, denn trotz der Festlegung auf zwei Tasten (Plus einer zum Türen aufstoßen und einer für Interaktion mit Objekten) wird das Spiel gelegentlich unheimlich herausfordernd. Frustrierend wurde es zwar nie (außer Anfangs bei den optionalen Rennen), aber es braucht doch ein gutes Gefühl für Timing, um Faith zuverlässig durch die Stadt zu navigieren. Bis man den Wallrun und vor allem spätere Kombinationen aus Manövern erst mal drauf hat, vergeht einige Zeit. Die Lernkurve ist aber beständig.
Neben den erwähnten Wallruns, dem Rutschen und Springen und anderen Dingen, die man schon 2008 nahe der Perfektion erlebte, kommen nun auch neue Manöver und Gegenstände hinzu, die Faith' Repertoire erweitern. So kann sie sich mit einem Greifhaken nun an Kameras hängen und über Abgründe schwingen; oder sie zieht sich gleich hoch zu einem Vorsprung den sie vorher nicht erreicht hat. Auch Wände kann sie mit dem Greifhaken einreißen, um neue Wege offen zu legen.
Die offene Welt ist die wohl größte Neuerung, gleichzeitig aber auch ein zweischneidiges Schwert. Es macht Spaß sie rennend zu erkunden, nach eigenem Gutdünken, aber wenn man stehen bleibt, sich umsieht, dann realisiert man schnell wie Tod diese Metropole doch ist. Nebenquest gibt es zwar, die erzählen aber eher uninteressante Nebengeschichten, die nicht mit der Hauptstory verknüpft sind. Manche werden auch nur von einer generischen Roboterstimme eingeleitet und dienen alleine dem Verdienen von Erfahrungspunkten. Daneben gibt es noch obligatorische Rennen, Dash genannt, und Sammelobjekte bis zum Abwinken. Letztere sind hauptsächlich in die Spielwelt integriert in Form von Paneelen, versteckten Taschen, Audiofiles oder Dokumenten, aber es gibt auch leuchtende Fragmente im Stil eines Assassin's Creed, die einem wie ärgerliche Fremdkörper vorkommen.
Generell erinnert die offene Welt in vielen Dingen an das Ubisoft-Schema. Zwar klettert man nicht auf Türme, dafür aber in gewaltige Server, um Schnellreisepunkte freizuschalten. Die Überfüllung an sinnlosen Lückenfüller-Nebenmissionen ist außerdem sehr hoch. Wann realisieren Entwickler endlich, dass es erzählerische, spannende Anreize braucht, um Sammelobjekte und Nebengeschichten wirklich sinnvoll zu machen? So sind es nur Objekte, die man wegen eine Trophäe oder einem Erfolg nachjagt. Das sind ärgerliche verpasste Chancen.
Gut gelungen dagegen ist das Kampfsystem. Konnte man im Vorgänger noch Wachen entwaffnen, muss man sich nun komplett auf den Nahkampf verlassen. Meistens ist es ratsam einfach die Beine in die Hand zu nehmen, aber Faith kann sich auch effektiv zur Wehr setzen. Wenn man genug Raum hat, umrennt man die Gegner, springt sie von oben an, tritt sie aus einem Wallrun heraus oder grätscht in sie rein. Auf engeren Räumen wird es etwas hektischer und man kann schnell die Übersicht verlieren. Eine wirkliche Gefahr sind die Feinde dabei aber nicht. Alles in allem funktioniert das Kampfsystem aber hervorragend, bringt man die nötige Hand-Augen-Koordination mit.
Die zuvor erwähnten Erfahrungspunkte, sollte ich auch noch thematisieren. Faith kann nun durch Perks verstärkt werden, was leider auch essentielle Manöver wie das Abrollen oder den doppelten Wallrun beinhält. Später sind diese notwendig, wenn man sie aber noch nicht freigeschaltet hat, muss man erst mal Nebenmissionen annehmen und die nötige Erfahrung zum Aufleveln zu bekommen. Wenn man aber sowieso erst auf die Beweglichkeit, statt auch die Gadgets und die Kampfmanöver skillt, kommt man gut über die Runden. Richtiges Erfahrungspunkte farmen muss man jedenfalls nicht betreiben.
Sound
Ganz so gut wie im Vorgänger gefiel mir der musikalische Soundtrack nicht. Er hält sich auch stark im Hintergrund und unterstreicht. Dabei herrschen Synthesizer und Ruhe vor, außer natürlich es wird hektischer, insbesondere in Kämpfen. Alles in allem ist die Musik aber schlicht unauffällig.
Die deutschen Sprecher liefern durch die Bank gute Darstellungen ab. Wirklich negativ ist keiner von ihnen aufgefallen. Ab und an wünscht man sich ein bisschen mehr Emotion oder Gravitas, aber nie in Ausmaßen, welche die Geschichte beeinträchtigen würden.
Die stärke des Sounds betrifft besonders Faith, die nach langen Sprints erschöpft schnauft, gequält aufstöhnt nach unsanfter Landung und deren Schuhe schon mal ordentlich quietschen, wenn man rasch die Richtung ändert. Das unterstreicht das Körpergefühl nochmal und sorgt für eine optimale Identifikation mit der wendigen Runnerin.
Fazit
Sieht man mal von einigen Sünden im Bereich der offenen Welt ab, unterhält Mirror's Edge noch einen Ticken besser als der ohnehin tolle Vorgänger. Das liegt einerseits an einer spannenderen Story, andererseits an der neuen Freiheit, die man in den Runs nun genießt. Ein besseres Körpergefühl gibt es in keinem anderen First-Person-Spiel und bis zu Mirror's Edge 3 wird auch niemand daran ran kommen.
8.5 von 10 Punkten